Lesenlernen mit dem Gehirn
Der Großteil des menschlichen Wissens wird visuell wahrgenommen. Ursächlich dafür ist, dass rund 90 Prozent aller Neuronen im Körper des Menschen allein für den Sehsinn verantwortlich sind. Damit sind die Augen die mit Abstand wohl wichtigsten Sinnesorgane. Grundsätzlich aber ist es nicht das Auge, das sieht, sondern das Gehirn. Gerade beim Lesenlernen zeigt sich die enge Verbindung dieser Organe. Schließlich nehmen Kinder über das Auge die Buchstaben und Wörter wahr, letztlich ist es aber das Gehirn, das ein phonologisches Bewusstsein ausprägt. Das bedeutet, dass Kinder mit der Zeit erlernen, Strukturen und Muster in ihrer Muttersprache zu erkennen und anzuwenden. Das hilft ihnen später, Bücher und Texte fließend zu lesen.
Das Geheimnis des Buchstabenwirrwarrs
Je geübter ein Menschen im Lesen ist, desto weniger wird er Wörter Buchstabe für Buchstabe lesen. Vielmehr nimmt er das Wort als Einheit war und versteht dessen Bedeutung. Deshalb ist es für ihn auch nicht schwer, Sätze zu verstehen, in denen die einzelnen Buchstaben der Wörter durcheinander sind. Wichtig ist nur, dass die Anfangs- und Endbuchstaben an der richtigen Stelle sind. Das Gehirn verbindet das Buchstabenwirrwarr dann automatisch zu einem Wort, welches ihm vertraut ist. In der Psychologie kann in diesem Zusammenhang auch von der Apophänie gesprochen werden. Das Gehirn nimmt folglich Bedeutungen war, die in dieser Form real nicht existieren. Ähnlich verhält es sich bei der Befragung von Zeugen.
Jedoch besitzt nicht jeder Mensch gleichermaßen die Fähigkeit, aus zusammengewürfelten Buchstaben sinnvolle Wörter zu bilden. Denn die Lesekompetenz hängt ebenso von dem inhaltlichen Kontext des Textes, der jeweiligen Wortlänge und der Kenntnis der Wortbedeutung ab. Einem Mediziner wird es also deutlich leichter fallen, einen Fachtext über Aneurysmen zu lesen als einem Anwalt oder einem Architekten. Zugleich ist wissenschaftlich bewiesen, dass Menschen mit einer höheren Lese-Rechtschreibkompetenz dazu neigen, ihre eigenen Fehler seltener wahrzunehmen. Da sie das Wort als sprachliche Einheit sehen, sind für sie beispielsweise Buchstabendreher quasi unsichtbar.